Kritik: „X-Men“

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20th Century Fox

Ein Start ins „X-Men“-Universum. Das ist jenes aus dem Hause Marvel, dessen Idee Mutanten und Menschen, Genetik und Evolution, Umwelt und (potenzielle) Gefahr, das Anderssein und das Sein in Widersprüche verknotet, um mit deren ambivalenten Herausforderungen zu einem humanistischen Schlussappell aufzurufen, Minderheiten, die in kein gesellschaftliches Normalitätsschema und Wertesystem passen, wenn nicht zu akzeptieren, so doch wenigstens zu tolerieren. Bryan Singer säte den Boden für die Nachzügler, die kommerziell ungemein erfolgreichen Comicverfilmungen, die schlechten und die guten, die lauten und die leisen. Ein Vorführ- und Vortastprogramm, gedimmt, gedämpft, klein. 


Erst im Nachhinein ist dieser erste „X-Men“ in Wahrheit eigentlich ein grundlegend leiser, trockener, ist am Dialogaustausch interessiert, an Ängsten, Schicksalen, Vergangenheiten, Geständnissen und am Trösten, an der Figur und an der Exposition, an der Vorbereitung, die aber noch nicht vollends ausschöpft. Vielmehr ist er ein holpriger Start, der anhand seiner entschiedenen Schüchternheit und pragmatischen Zurückhaltung gegenüber den infantilen Überwältigungsprozessen des modernen Superhelden von heute an der Startlinie noch einmal tief durchatmen musste, bevor die Bilder rollen konnten.

Entsprechend weiß Singer zwar, was er zu erzählen, zu bändigen hat, was er mit den Adamantium-Klingen, den künstlichen Wetterveränderungen, der Gedankenkontrolle, den Laserstrahlen und dem Metallverbiegen für einen Radau machen kann. Aber er weiß es aus Unvorsichtigkeit nicht genau, wie er alles in eine kohärente Dramaturgie konzentriert, in ein schlüssiges Schema, dem der Ruf anhaftet, sich allzu oft in den effektgetränkten Fähig- und Fertigkeiten seiner allgegenwärtigen Mutanten zu verlieren, als in deren widersprüchliches Befinden.

Symptomatisch übergeht Singer Protagonisten zuhauf, die hölzern agieren (Halle Berry) oder schlicht keinen Raum erhalten, in dem sie sich selbst erforschen dürfen, weil sich der Regisseur das Ziel gesetzt hat, jedem eine kurze Szene schreiben zu lassen. So was ist schade, umso mehr, wenn der Film nicht willens genug ist, an Missstimmungen bis zum Ende zu lauschen und sprunghaft das bewegende Coming-of-Age-Drama und die noch bewegendere Liebesgeschichte mitsamt ihrer pointierten Eifersüchteleien übergeht, weil ja noch ein dringend benötigter CGI-Showdown auf dem Programm abzuarbeitender Genrekonventionen steht (übrigens der Metapher wegen auf der Freiheitsstatue).

Was bleibt, ergibt eine Comicverfilmung graziler Körper (Mystique!), väterlicher Weisheit, starrer Vorurteile und der unabänderlichen Hoffnung daran, sie einzudämmen. Meist konservativ strukturiert und den bissigen Kommentaren Wolverines (Hugh Jackman) ausgeliefert. Schwer semiklingenscharf – im Sinne eines alt gewordenen Messers, das geschärft werden muss.                

5 | 10
Über Marcel 584 Artikel
Film ist eine Sprache die jeder versteht. Egal ob in serieller Form oder als Animation, Film dient den Menschen als Unterhaltung und begeistert durch seine Vielfältigkeit. Sei es auf den Ebenen der Erzählung, Effekten oder Charakteren. Film ist aber nicht nur eine Sprache, sondern eine Kunstform, ganz gleich in welcher Art und Weise. Das was ich an Film und allgemein an Medien liebe, ist die Vielfältigkeit, die verschiedenen Ebenen insbesondere die Meta Ebenen und in neue Welten einzutauchen. Aber auch Kritik und Lösungsvorschläge filmisch an unserem heutigen System auszuüben und zu zeigen, wie die Welt in der Zukunft aussehen könnte. "Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein".

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