Kritik: Westworld (Staffel 2)

Das Sein bestimmt das Bewusstsein

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Gott erschuf Adam, Michelangelo ein Gehirn. Zwei Finger. Alle Macht dem Verstand. Eine Geheimbotschaft. Mit dem Aufdecken dieses verschlüsselten Zeichens in dem berühmtesten Deckentableau der Sixtinischen Kapelle kokettierte die erste Staffel „Westworld“. So wie sich der Park Westworld selbstreflexiv als Spiegelbild seines Senders HBO empfahl – Brutalität orchestriert Geschichten des Zivilisationsverfalls und spiritueller Krisen –, so selbstreflexiv wurde sie von Jonathan Nolan mit dem Verstand durch zehn Folgen geleitet. $100 Millionen wurden ihm für eine technizistische Serie gewährt, die um keine bücherfüllende Frage verlegen ist: Bewusstsein, Mensch-Maschine. Wahrheit. Existenz. Aber „Westworld“ nutzte im ersten Anlauf die Chancen eines raum- und schichterschließenden Erzählatems kaum. Stattdessen erstickte sie an ihrem eigenen Atem, der sich Luft zufächern will, aber nicht kann. Wie auch? In diesen sterilisierten Kulissen? Wofür Nolan $100 Millionen gebraucht hat, bleibt offenkundig sein Geheimnis. Am Wilden Westen war er nicht interessiert. Die Serie verkörperte in ihrer zugeschaufelten Isolation bislang eher den wöchentlichen, vom Arzt empfohlenen Gang zum Psychiater, taumelte Loop um Loop um Loop ihrem Ziel entgegen, einem Rätsel, drei Rätseln gar. Vereinzelte visuelle Ideen wie ein von Michelle MacLaren pathetisch in Szene gesetzter „Flammenkuss“ vermochten dieses straffe Korsett (vorerst) nicht zu lockern.

Geringfügig „anders“ erscheint die zweite Staffel nicht. Nolan und seine Ehefrau Lisa Joy überwinden die Allgemeinplätze nicht, um den Diskurs zu bestärken. Ein Virus hat den Menschenpark Westworld im zweiten Jahr befallen: Nach einer Staffel, in der die Poesie im Geschwafel getötet wurde, töten die Showrunner sie nun im Geplänkel. Kein Wunder. Denn Nolan und Joy wissen fortan, wie es „geht“. Sie haben den Einstieg hinter sich. Sie haben Erfahrung über ihr Material erlangt, aber das „Material“ reicht nicht aus, beileibe nicht. In weiten Teilen kann auch die zweite Staffel nicht mehr sein als Exposition, Materialeinstieg. Und, hauptsächlich: so viel und doch so wenig. Das rahmende Motiv – der am Ende der ersten Staffel angedeutete Maschinenaufstand unter der Federführung Maeves (Thandie Newton) und Dolores‘ (Evan Rachel Wood) – verleitet zu Action. Während Maeve „ihr“ Kind sucht, bedient sich Dolores Methoden gegenüber den Parkbesuchern, die sie ironischerweise anprangert und leidenschaftlich ablehnt. In beiden Figuren äußern sich hochinteressante Vorstellungen von Macht und Herrschaft: ein leises gegen ein lautes Regieren und Führen. Nolan und Joy wollen das jedoch nicht entwickeln, ihr Konzept ist der Lautstärkeregler, der anschwillt. Mit Dolores als Terminator-Pastiche (unzerstörbar, Kugeln schluckend, mimisch eisgekühlt) entfacht „Westworld“ wüste Revierrangeleien, die vollends zur Parodie werden.

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Diskursverhinderung, stattdessen ein Außenblick. Der „Innenblick“ erfolgte in Jahr eins, im „Labyrinth“. Jetzt die Fortbewegung, zur „Tür“. Das „Draußen“ ist tatsächlich zu einer Reise mutiert, und während dieser Reise auf eine Welt hin, die Flucht, Ausweg, Utopia heißt, durchquert die Anhängerschaft Maeves und Dolores‘ weitere Parks, etwa einen mit allerhand orientalischen Klischees angereicherten indischen und einen mit allerhand süßlich geraspelten Klischees angereicherten japanischen Samurai-Park. Die Staffel nimmt an dieser Stelle das Credo ihres selbsternannten Geschichtenphilosophen Lee (Simon Quarterman) ernst: Alles wiederholt sich, ist funktional anwendbar. Als Ausrede taugt das aber nicht, denn dies wäre Entschuldigung genug für schlicht und ergreifend sämtliche Verfehlungen der Serie, die, wäre sie bloß eine theoretische Metakonstruktion, ihre Themen lediglich zur zweckrationalen „Geschichte“ degradieren müsste. Dennoch muten „Indien“ und „Japan“ wie Gimmicks an, um die Vergrößerung des Parkgeländes schauwertschwer zu erzwingen. Speziell jene Folge, die in „Shogun World“ spielt (2×05: „Eine neue Stimme“), hebt sich angesichts ihres blumig-seidenen, kontemplativen Erzähltempos immerhin wohltuend heraus. Gleichwohl verlassen die Showrunner zügig derartige Seitfallzieher geräuschloser Verlassenheit – der Kampf will ausgefochten, der Krieg gewonnen werden. 

Die Fortsetzungslogik vernebelt in der zweiten Staffel „Westworld“ den Verstand, wortwörtlich. Plötzlich kann Maeve sämtliche Hosts per „Stimme steuern“, so dass Luke Skywalker auf sie glatt neidisch wäre. Damit passt Maeve zu „Star Wars“, aber nicht in eine Serie, die offenkundig andere Anliegen hat und andere diskutieren möchte. Das „Upgrade“ der Serie ist in Wahrheit ein Upgrade der Lockung. Anzulocken sind: eine breitere Zuschauerschaft sowie den abgelenkten Zuschauer. Also lassen Nolan und Joy ihre Figuren mehr denn je den Schmerz erleiden, der als unverzichtbarer Bestandteil im Menschwerden verankert ist. Den Schmerz im Getümmel, den Schmerz im Geballer – die „Programmierung“ der zweiten Staffel verursacht keine Datenlücken, Lücken, in denen sich ein herausforderndes Denken bemerkbar macht. So schraubt sich der Bodycount kontinuierlich nach oben, das Bewältigungsprozedere nimmt zu, eine Verfolgung gleich sich der anderen. „Westworld“ ist in einem brillant: Die Serie erzählt – wie der Ort, den sie uns vorstellt – selbstreferentiell stets das Vorangegangene, leicht variiert, leicht verändert, leicht verschoben. Über eine Eingangszeitschleife einer großen Überschwemmung hinweg, die viele (alle?) Hosts tötete, durchpflügen weitere und weitere Zeit- und Erzählschleifen ein, eigentlich, überlebensgroßes, prätentiöses Nichts, dessen verschwurbelter Budenzauber insgeheim die Postpostmoderne einläutet: Die Idee verschwand.

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Dabei ist nicht alles Budenzauber, sondern manches sogar Zauberei. Wenn Maeve ihre neuartigen Fähigkeiten instrumenteller Beeinflussung entdeckt, das leitmotivische „Tor“ als visuell monumentaler Zeit- und Weltenriss eine Landschaft zerteilt und Tiere erstmals für ein in Zeitlupe gravitätisch beschienenes Action-Tableau zum Einsatz kommen, ist das Märchen (oder: die märchenhafte Geste) nicht weit, Reaktion auf den Fortschritt, der anfänglich keiner ist – das Staunen ob des Wunders steht am Anfang technologischer Weiterentwicklung, ehe die Technik zur Gewohnheit wird. Die Melodramatik angehefteter TiefenpsychologieAnthony Hopkins darf gewohnt outrierte Prophezeiungen hauchen – betrifft nicht nur das Gesagte, Gesalbte, sondern ebenfalls unscheinbarere Momente (Teddy), in denen Nolan und Joy die Emotion für sich sprechen lassen. Schließlich ist auch die zweite Staffel „Westworld“ enorm geschwätzig geraten und spielt das hohe Budget sowie das malerische, anspruchsvolle Setting dann nicht aus, sobald das symbolische Andeuten, Fragmentieren, Verweisen gefragt ist, sobald das Bild über die Sprache triumphieren, sobald das Bild als solches eine Psychologie erzählen muss. Nolan und Joy schlagen den denkbar einfachsten Weg ein: Ihr Durchkalkulieren und Bedeutungsgeschiebe gegenüber ihren Figuren durchdringt keine Menschen, und auch die, die welche sein sollen, verkommen zu hohlen Gefäßen.   

So wird die Geschichte des „Mannes in Schwarz“ (nunmehr grotesk sterbensresistent: Ed Harris) zum minutenfüllenden Familienintermezzo um hoffende Töchter (Katja Herbers) und drogensüchtige Brüder (Ben Barnes) verbaut, das keine sonderlich essentielle Bewandtnis für das Geschehen im Park hat. Eher repräsentiert William (Jimmi Simpson) eine zu Tode geschriebene Figur. Wo sich Ed Harris in der ersten Staffel als Abstraktum, als unberechenbarer Sinnsucher empfahl, dessen Bestimmung metaphysisch zu erspüren war, schreiben ihm Nolan und Joy bestürzend platte Attribute einer seriellen „Verweltlichung“ zu: Er spürte schon immer fortwährend das „Dunkle“ in sich und war kein generell kooperativer Ehemann. Von diesen grobschlächtigen Charakterkonstruktionen einmal abgesehen, verbreitern Nolan und Joy – immerhin aufschlussreich zu weiten Teilen – die ökonomisch diffizile  Vorgeschichte des Parks, in der Williams Vater (Peter Mullan) eine tragende Rolle spielt. Peter Mullan ist ohnehin ein Gewinn. Sein in der Eingangssequenz von „Die Rätsel der Sphinx“ (2×04) festgestecktes und feststeckendes Ich vegetiert im trägen Kreisen, in der Wiederkehr des nicht zu Ende geschaffenen Geschöpfes. Dieses traditionell an „Lost“ anknüpfende Intervall ironischer Hinführung unterstreicht die Tragik der Maschine, die nicht völlig, vielmehr vereinsamt unfertig Mensch ist und in ihrem Drang, Mensch zu werden, am Bewusstsein ihrer selbst scheitert.        

„Empfindungen sind privat, Gehirnprozesse öffentlich.“  

John Jamieson Carswell Smart

Den klassischen Science-Fiction-Diskurs innerhalb des Verhältnisses von Mensch und Maschine wissen die Showrunner deshalb komplexer auszuweiten: Was macht die Person zu einer Person, den Menschen zu einem Menschen? Kreativität, Vorstellung, Vergangenheit, Zukunft? Oder, hauptsächlich, Reflexion, Gewissheit, Erkenntnis? Die Enthüllung, mit der Nolan und Joy Westworld zum anthropologischen Verhaltensknotenpunkt erklären, der detaillierte Besucherverzeichnisse führt, um das Künstliche dem Menschlichen endgültig (geistig) anzugleichen, offeriert die Verdorbenheit, den Makel einer Rasse, die den Makel ausmerzen, rausoperieren will. In Westworld existieren peu à peu keine Unterschiede mehr zwischen Schöpfer und Schöpfung. Der Roboter, der Mensch, ihr Überleben – und dies versuchen Nolan und Joy mittels ausgewalzter, musikalisch überhöhter Rachepraktiken zu belegen –, all‘ das scheint determiniert von ein und demselben Code, einem Algorithmus einer simplen logischen und brutalen Reiz-Reaktionserzählung. Wird aber „Westworld“ diesem Diskurs gerecht? Bedingt. Der Code ist seicht, der Erzählstrang flach. Nach der zweiten Staffel „Westworld“ bleibt zumindest der Grundsatz bestehen, dass das Simulierte nie auch nur mehr sein kann als Simuliertes – innerlich hölzernes, verstorbenes Materialgemenge ohne die Fähigkeit der freien gestalterischen Überlegung des „in-der-Welt-Seins“ (Martin Heidegger).

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