BFI London Film Festival, Tagebuch Tag 2: „The Ballad of Buster Scruggs“

Singen, schießen

© BFI London Film Festival

Der zweite Tag des London Film Festivals startet mit einem Most-Wanted-Film von mir, der es in sich hat. Die Rede ist vom neuen Film der Coen-Brüder mit dem Titel „The Ballad of Buster Scruggs“. Ein Film, der ursprünglich eine Miniserie werden sollte und, wie es der Zufall so will, von Netflix produziert wurde. Heißt: Außerhalb von Festivals wird es schwierig, diesen meisterhaften Episodenfilm auf der großen Leinwand zu schauen.

Was definitiv schade ist, denn meiner Meinung nach hätte er sich den Platz redlich verdient. Welche Gründe es gab, z.B. Finanzierungsschwierigkeiten (da die Coens sonst jeden ihrer Filme ins Kino brachten), ist nicht bekannt. Höchstwahrscheinlich liegt es aber daran, dass er anfangs nicht als Film geplant war, zumindest würde das nahe liegen. Aber sei’s drum, immerhin können ein paar Ausgewählte das außergewöhnliche Werk auf der Leinwand genießen.

Wie der Titel schon sagt, geht es hierbei um den gesuchten Kriminellen Buster Scruggs, aber im Grunde genommen auch nicht. Denn seine Ballade ist eine der 6 abgeschlossen Geschichten, die der Film mit sich bringt. Die weiteren spielen zwar auch im Wilden Westen, haben aber miteinander gar nichts zu tun. So könnte man auch den Film, wie ursprünglich geplant, als sechsteilige Miniserie veröffentlichen, der Unterschied würde gar nicht auffallen. In der ersten Einstellung sehen wir Tim Blake Nelson alias Buster Scruggs, der ganz in Weiß gekleidet auf einem weißen Pferd durch die Wüste reitet und dabei ein Lied trällert. Doch je näher die Kamera auf ihn zukommt, desto mehr keimt das Gefühl auf, dass er in wenigen Minuten die vierte Wand durchbricht, was dann auch passiert. Ganz entspannt erzählt Buster, wer er ist und was er schon alles erlebt hat – ebenso, was er als nächstes tut. Und mehr will man dazu eigentlich nicht verraten, außer, dass inszenatorisch die Shootouts, in Verbindung mit einer sprichwörtlichen Ballade, hervorragend funktionieren. So wird sehr viel gesungen und in einer Szene auch getanzt – sozusagen ein einzigartiges Coen-Musical, mit dem Coen-typischen schwarzen Humor, wo jeder Lacher sitzt.

© Netflix

Was jedoch nicht bedeutet, dass der Musical-Anstrich auf jede einzelne Episode abfärbt. In den kommenden ist das Singen vorbei, dennoch bleibt der Humor und auch das Dialoggewitter trifft den Nerv des Zuschauers. Immerhin machen diese auch 90 Prozent des Films aus. Tarantino wäre stolz auf die Brüder, wo jeder Charakter seine eigene Geschichte zu erzählen hat und an und für sich einzigartig ist. Der Nagel auf den Kopf, sozusagen die Kirsche auf der Torte, ist die schauspielerische Leistung von Harry Melling, der in seiner Episode als Arm- und beinloser Prediger seine Theatererfahrungen zum Besten gibt. Das ist Schauspiel der besonderen Art. Aber auch die anderen wie James Franco als glückloser Bankräuber, Zoe Kazan als Witwe oder ein Goldgräber, dessen Hoffnungen und Träume sich nicht ganz so erhoffen, wie er sich das vorgestellt hat, funktionieren.

Jedoch ohne die detaillierten Landschaftsaufnahmen und verschiedenen Kameraeinstellungen, die quasi als eigenständiger Charakter fungieren, sei es in der Wüste, im Schneegestöber, in einer alten, vergilbten, dunklen Kutsche oder die grüne Berg- und Wiesen Landschaft am glasklaren Fluss, wäre der Film bedeutend unorigineller. Die melodische, passend gesetzte musikalische Untermalung tut da ihr Übriges.

Im Großen und Ganzen ist „The Ballad of Buster Scruggs“ eine Liebeserklärung an das 18. und 19. Jahrhundert zu den glorreichen Zeiten des Westerns. Wie erwartet hat Netflix nach Cuaróns „Roma“ und Saulniers „Wolfsnächte“ den Thron für sich beansprucht und ist als strahlender Sieger aus dem Kampf gegen Cannes hervorgegangen. Denn wenn Cannes diese Filme nicht will, gibt es immer noch genügend Alternativen wie Netflix.

Über Marcel 584 Artikel
Film ist eine Sprache die jeder versteht. Egal ob in serieller Form oder als Animation, Film dient den Menschen als Unterhaltung und begeistert durch seine Vielfältigkeit. Sei es auf den Ebenen der Erzählung, Effekten oder Charakteren. Film ist aber nicht nur eine Sprache, sondern eine Kunstform, ganz gleich in welcher Art und Weise. Das was ich an Film und allgemein an Medien liebe, ist die Vielfältigkeit, die verschiedenen Ebenen insbesondere die Meta Ebenen und in neue Welten einzutauchen. Aber auch Kritik und Lösungsvorschläge filmisch an unserem heutigen System auszuüben und zu zeigen, wie die Welt in der Zukunft aussehen könnte. "Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein".

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