Kurz notiert: Aufbruch zum Mond, Leto

Melancholische Astronauten im Takt der Überwältigung

© Universal Pictures Germany

AUFBRUCH ZUM MOND

(„First Man“, USA 2018/Regie: Damien Chazelle)

Das existenzialistische Verlorensein, die DNA der Science-Fiction-Philosophie schlechthin, begeistert Damien Chazelle beileibe nicht. „Aufbruch zum Mond“ ist ein Biopic technizistischer Entmachtung – die Astronauten um Neil Armstrong (betonverhärtet: Ryan Gosling) und Buzz Aldrin (rüpelig: Corey Stoll) müssen sich in enge, klaustrophobische Kommandomodule zwängen, rotieren wie in Trance und sehen das schwarze Außen durch ein winziges Guckfenster. Den Blick dorthin, wo die Fantasie das Nichts des Alls ausfüllt, spart sich Chazelle (meistens). Er erklärt die Helden zu alltäglichen Überlebenskünstlern, indem er deren Sicherheit beständig in Frage stellt. Aber „Aufbruch zum Mond“ will auch verklären: die erste Mondlandung als biblisches Fortschrittsprojekt, Neil Armstrong als liebender, stellenweise egomanischer Familienvater, dem der Geist (wortwörtlich) seiner verstorbenen Tochter (Lucy Stafford) vor der Bewusstlosigkeit rettet. Die Kitschkuh nostalgischer Rückeroberung geht mit Chazelle ein zweites Mal durch. Jenseits von skeptischen Zwischenfragen einer unter Konkurrenzdruck fatal sich verselbstständigen Aufwärtsentwicklung gegenüber, die in eine gefährliche, Menschenleben einfordernde Schieflage zu geraten droht, verfilmt er einen NASA-Bilderkatalog himmlischen Heulens. Wer war Neil Armstrong, wer war, eigentlich, seine Frau (Claire Foy)? Berechtigte Fragen, einfältig beantwortet. Während sich Janet Armstrong (Foy) der Rolle der Hausfrau fügt, treibt die Trauer ihren Mann (vor)an, um sie – auf dem Mond – schließlich zu beerdigen. Die Oscar-Jury jubelt ergriffen.        

© Weltkino Filmverleih GmbH

LETO

(RUS, F 2018/Regie: Kirill Serebrennikow)

Bleiern sitzen gleichgeschaltete Zuschauer vor der Bühne, klatschen zurückhaltend, johlen parteilogisch, erheben sich, wenn sie sich erheben sollen. Trotz David Bowie, Iggy Pop und den Talking Heads spürt man, dass das musikalische Sowjetrussland der 80er Jahre mehr Schwung und weniger Schranken braucht. Das Versprechen „Schwung“ (respektive Lust, Lebenslust, allgemein Lustreizung) löst Kirill Serebrennikov dort ein, wo er seine Protagonisten loslöst: in comicästhetisch collagierten Clips, in denen der Gesang auf die Bevölkerung und deren Alltag überschwappt. Ob „Psycho Killer“ in einem Zug oder „The Passenger“ während einer Busfahrt – „Leto“ verrührt, momentweise, ein ideologisch-eskapistisches Gegengift ohne ein Narrativ spießig-systemtreuer Werte (die in einer der witzigsten Szenen der Musik dennoch nachinterpretiert werden müssen). Aber ekstatischer Gesang und damit die Positionierung des Selbst inmitten einer Welt der Selbst-Losigkeit ist nicht nur alleiniges Thema von „Leto“. Serebrennikov erzählt nebenher eine Geschichte fragmentarischen Zusammenseins maßgeblich am Beispiel einer Dreiecksbeziehung (Irina Starshenbaum, Roman Bilyk, Teo Yoo), die, wortwörtlich, im Untergrund ihre eigenen kruden Wege beschreitet. Das Erzählmaterial dieses Films ist demnach nicht „frei“ – nicht frei von Liebkosungen aus dem Drehbuch-Wallmart, vor allem nicht frei von komplizierten Gefühlen einer komplizierteren Liebe gegenüber. Anstatt die Liebe zur Musik auszukosten, ist „Leto“ ganz viel Schmalspurdrama und die Aufforderung zum Streiten.          

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