Kritik: The Deuce (Staffel 2)

Pornos und Provokationen

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1977 hat Eileen (Maggie Gyllenhaal) eine Vision. Die Zeit – fünf Jahre, nachdem wir die Akteure von „The Deuce“ kennengelernt haben – hat sich verändert. Das Geld wird in immer dickeren Bündeln lasziv abgezählt, der Sex ist eine florierende, politische Dienstleistung. Es könnte schlechter um ihn bestellt sein. Immerhin hat der Sex seinen Siegeszug durch Bordells, Kinos, durch das Unterhaltungsgeschäft angetreten. Guckfenster mit oder ohne Guckscheiben. Billige, per Fließband produzierte Produktionen. Jeder kann ein Star der Liebe werden. Geben und Nehmen. Eileen aber tüftelt an keinem billigen, ranzigen, auf den Höhepunkt abgerichteten Porno, sie will Kunst. Kunst zwischen feministischer Avantgarde und postmodernem Märchen. Die Männer, so die Amateurregisseurin, sollen sich in die Frau hineindenken. Das Gestellte muss echt werden – wie echter Sex, wie unverfälschte Befriedigung. In Zeiten manifester erotischer Kommerzialisierung hat es eine aufrechtere Frau wie Eileen schwer, den Macht- und Besitzverhältnissen zu entkommen.

Eileen klagt über anhaltende Budget-Knappheit, erträgt den Machismo ihrer Produzenten, gibt Schnitt-Anweisungen, sprintet mit der Kamera durch die Straßen New Yorks, um zu filmen, und verantwortet sich vor ihrem Sohn (Mikey Moughan), wohingegen sie sich rechtfertigt vor ihrer Mutter (Carolyn Mignini). Eindrucksvoll, nicht ohne schwarzhumorigen Glanz verschalten David Simon und George Pelecanos jenes Geflecht von Wirtschaft, Kriminalität und Politik, das sie einst in ihrer Jahrhundertserie „The Wire“ (2002-2008) anhand unterschiedlich geschichteter, urbaner Subsysteme protokollierten. Mit „The Deuce“ positionieren sie sich erneut als Chronisten und Historiker instrumentellen Zusammenlebens. Simon und Pelecanos setzen im zweiten Jahr „The Deuce“ dort an, wo sie Eileen zum zentralen Bezugspunkt der Handlung machen: In der Rolle, in der Kostümierung führt der ökonomische Sex ein sozial belastendes Eigenleben. Nach wie vor scheint der asymmetrische Einflussbereich der Befehlsgewalt geschlechtlich determiniert.

Maggie Gyllenhaal ist herausragend, wenn sie, allem Aktivismus zum Trotz, in die alte, verblasste Candy zurückfällt – wenn sie zu einer erniedrigenden sexuellen Handlung gezwungen wird, um „Red Hot“ (so ihr Film) zu finanzieren. Die Verletzlichkeit, mit der die Showrunner ihren übermütigen Idealismus kontrastreich einfangen, konturiert eine zweckrationale Umwelt, die durchtränkt ist von Anziehung und Angst. In dieser Umwelt, die das Signum perfiderer (technologischer) Unterjochung trägt, werden Zuhälter nach und nach überflüssig. Aus Angst, die große Bereicherung zu verpassen, binden sie ihre „Spielzeuge“ an die kurze Leine. Die Geschichten um Lori (Emily Meade) und Darlene (Dominique Fishback) sind exemplarisch dafür. Aber beide Geschichten münden in ein neues Kapitel der Bewusstwerdung – Lori strebt nach einer Schauspielkarriere in Hollywood und Darlene findet eine legale Arbeit. Wiewohl Simon und Pelecanos jeden Winkel ausleuchten, wie Menschen durch Menschen in Institutionen verdinglicht werden, gehört die zweite Staffel diesen Frauen.

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Frauen wie, zum Dritten, Abby (Margarita Levieva). Die Rolle, die sie spielt, ist kleiner (geworden), aber Abby und Darlene eint das Lesen. Ihre Flucht ist die Bildung, die Aufklärung. Das gelingt phasenweise – Darlene lässt das einstige Leben hinter sich und damit ihren Zuhälter Larry (Gbenga Akinnagbe), um sich ein halbwegs legales, sicheres zweites Leben einzurichten. Im zweiten Jahr „The Deuce“ stellen David Simon und George Pelecanos die Frage, in welchen Lebensentwürfen ihre Charaktere handeln – und welche sie sich gewaltsam herbeisehnen. Dabei bleibt Vincent Martino (James Franco) die große unbekannte Variable. Franco verkörpert den omnipräsent irrlichternden Tunichtgut in spe, der unter dem Einfluss der Mafia steht. Diese papierne Figur ist gleichzeitig Bestandteil des ohne Zweifel auswechselbarsten Handlungsstrangs, der fast zu abgestandenes Martin-Scorsese-Gangster-Flair verströmt. Reizvoll(er) werden die Martinos – denn Vincent hat einen schmierigen Zwillingsbruder – in der Interaktion fernab ihrer verwalteten Welt.

So avanciert Frankie (ebenfalls James Franco) zum gewieften Filmproduzenten, während sich Vincent in die Bürgerlichkeit einer Familie verträumt („Emanzenquatsch“, 2×07). Abstrakte Kunst wie das Bild einer gespreizten Vagina und philosophische Lesestunden sind seine Sache nicht. Abby und er haben kaum unterschiedlichere Interessen – er versucht, sich niederzulassen, sie treibt es zu den Menschen. Die Showrunner untermauern anhand der Disparität von Vincents und Abbys Wirklichkeitsutopien die Uneinigkeit zweier Welten, wovon die eine Teil der anderen werden will, wenngleich die eine (progressivere) die andere (unzeitgemäßere) zu überflügeln droht. Kein anderer als Larry (Akinnagbe) verdeutlicht dieses Paradox nachdrücklicher. In der Berufung zum Schauspieler – er spielt den animalischen Wolf in Eileens „Rotkäppchen“-Exotik – findet er eine Nische, die er auf seine Weise bedient. Das altmodische Gewerbe Zuhälter verliert zusehends an Sinn, an Aktualität, an Verwendung, sobald sich ungeahnte Türen öffnen, das Sterben in der Werbung aufzuhalten.  

Es ist die Kugel Welt, die über den Protagonisten – über den Haupt- und Nebenmenschen, den wichtigen und wichtigeren – angebracht ist. Sie bewegen sich unter ihr, soweit es ihnen möglich ist. Die Kamera zoomt zurück. Ein Zusammenstoß an Existenz. „The Deuce“ kann unmöglich das Mögliche aus „The Wire“ wiederholen, aber die Entwicklung schreitet voran: Der Heimkinopornomarkt verspricht ungeahnte Möglichkeiten, das Reale verschwimmt im Fiktiven. In der zweiten Staffel allerdings ist die real rührende Menschlichkeit noch tiefgreifend, egal, ob es sich um den an sich zweifelnden Familienvater (Chris Bauer) handelt, der ein Bordell verwaltet, oder um eine engagierte Ex-Prostituierte (Jamie Neumann), die Frauen helfen möchte, ihre Situation durchzustehen. David Simon und George Pelecanos pochen auf deren Name – sie heißt Dorothy. Hinter Dorothy versteckt sich ein Einzelleben, das gebührend emphatisch porträtiert wird. In der analytischen Betrachtung haben Simon und Pelecanos nichts von ihrer humanistischen Geistesschärfe eingebüßt.  

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