
Dann erkannten sie zum ersten Mal in Ihrem Leben, wie leicht es war, einfach loszulassen. In der letzten Nanosekunde haben sie erkannt, was sie gewesen sind; dass unser Ich niemals mehr als ein Konstrukt aus Anmaßung und blindem Willensdrang ist, und dass man einfach loslassen kann und sich endlich nicht mehr so daran festklammern muss. Sie haben eingesehen, dass das ganze Leben, all‘ die Liebe, all‘ der Hass, all‘ die Erinnerungen, all‘ der Schmerz, im Grunde genommen nur eines war: Es war alles nur ein Traum, ein Traum, den man in einem verschlossenen Raum gelebt hat. Der Traum, dass man so etwas wie ein Mensch war.
STAFFEL 1
(USA 2014)
Die Zeit ein flacher Kreis, in ihm die Figuren, die wieder und wieder aufleben, geschüttelt, rausgeworfen werden. Ihre Sünde ist es, den „besonderen Neigungswinkel der eigenen Existenz“ (Paul Celan) zu ertragen. Leiber in Ritualen, präsentiert, präpariert. In Louisiana ermitteln die Detectives Rust Cohle (Matthew McConaughey) und Martin Hart (Woody Harrelson) gegen einen Serienmörder. „True Detective“ windet sich jedoch mit voranschreitender Laufzeit aus der Umklammerung, eine weitere prototypische Genreserie zu sein. Die Zeit spielt gegen die Aufklärung – in mehreren achronologischen Handlungssplittern dehnt sich die Spurensuche über 17 Jahre aus. Cary Joji Fukunaga filmt beide Protagonisten auf ihrer Marterung durch dunkles Land und in den Felsen gehauene Verstandeswelten. Hart ist der Typ, der stumm Auto fährt, der sich nicht beschwert, seinen Job macht, für die Familie lebt. Cohle dagegen bekleistert den Moment mit nihilistischen Litaneien, verlebt sein Leben proportioniert in Isolation und hinterfragt die Normierungen, sich in seinen Minderwertigkeiten zu entmündigen. Der Tatort, zu dem Cohle und Hart gerufen werden, wird von einer meditativen Fragilität und doch sumpfigen Zähigkeit erfasst, die metaphysisch nach der Folgerichtigkeit fragt, ob jegliches Bestehen von der Garantie gefährdet ist, dass alles nicht ewig bleibt. Die erste Staffel offeriert einem herausforderungswilligen Publikum die Schönheit der Verdammnis in Wiederkehr.

STAFFEL 2
(USA 2015)
Obgleich sich Vergleiche zur ersten Staffel „True Detective“ verbieten (sollten), sei ein Vergleich gestattet: Neblige Feuchtigkeit weicht schaler Müdigkeit, weiche Form analytischer Leere. In Anlehnung an eine Great American Novel, fransen die Erzählstränge Nic Pizzolattos aus, um eine zweite, sanft tyrannische Geschichte über die immanente Existenz im ästhetischen Stadium zu erzählen, die auf Impulse, auf eine „Entseelung“ (Alfred Weber) abgerichtet ist und in der nicht einmal mehr eine Audionachricht hochgeladen werden kann. Neben Schuld (wie sie Colin Farrell auf sich lädt) und traumatischen Vergangenheitsereignissen (wie sie Rachel McAdams versucht, abzuschütteln) teilen Pizzolattos Figuren allesamt ihre behauptete Aufrichtigkeit, nie wieder als Versager niedergedrückt zu werden (Vince Vaughn). Oder, überhaupt, in ihr Ich blicken zu müssen, das sie hinter sich zu ließen glaubten (Taylor Kitsch). Die zweite Staffel mag den philosophischen Budenzauber erhöhen, die groteske Ernsthaftigkeit des Weltschmerzes, die surreale Weinerlichkeit inmitten einer Kneipe aus „Lynchworld“ (Georg Seeßlen) – und Pizzolattos Dramaturgie, einen Mord als Brandbeschleuniger zu benutzen. Staffel zwei, und das sei ihr zugestanden, ist nichtsdestotrotz einnehmend zu verfolgen, diese mechanistische Kälte, diese unzähligen Straßenmosaike, Gehirnwindungen, Seelenmosaiken gleich. Und diese stählerne Wucht, beispielsweise bei einer Sexparty. Die Suche nach dem verlorenen Glauben siedet im Verfall der Kultur, der architektonischen, sexuellen wie der moralischen.
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