Gedanken zu True Detective (Staffel 3)

Dem Verschwinden anheimfallen

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Der Polizist in „True Detective“ kommt zu spät, und egal, was er macht und worin er sich anstrengt – er kommt zu spät. Er tut Dinge, die er immer wieder tut. Aber er tut Dinge, die er zeitlich nie genau bemessen kann. Er ist ein Suchender im Dickicht fahler Fährten, heimgesucht von seinem Körper, einem „Zeittümpel“ (Joseph Vogl) gleichermaßen.

So wie in 1980.

So wie in 1990.

Wie in 2015.

In Detective Wayne Hays (Mahershala Ali) verdicken sich diese Jahre und Jahrzehnte. Sein Gedächtnis gleicht einem Filter aufgeschlitzter Erinnerungswunden. 1980 wurde er mit einem Fall betraut, der wie ein Gewaltverbrechen anmutete: Zwei Kinder (Lena McCarthy, Phoenix Elkin) verschwanden, eines wurde tot aufgefunden. Von dem Mädchen hingegen fehlte jede Spur. Hays hat diesen Fall nicht aufklären können, sein Partner (Stephen Dorff) nicht – und auch ein glücklicher Zufall trug nicht zur Lüftung des Geheimnisses bei. In der Welt von „True Detective“ müssen die Polizisten erst reifen, um außerhalb der institutionellen Rahmung mit einem kritisch-distanzierten, mit einem hermeneutischen Überblick die Situation zu bewerten. Hays und West (Dorff) mussten ergrauen, hager und zerbrechlich, mussten alt werden. Während Hays 2015 an einer Hirnleistungsschwäche leidet, lebt West verödet mit seinen Hunden. Dies allerdings schafft im Wesentlichen die Voraussetzungen für ein erneutes „Einfinden“ in die Zeit – den Polizisten in „True Detective“ wird Geduld insoweit abverlangt, dass sie irgendwann das Verlorene finden werden.

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Das Verlorene wurde 1980 nicht gefunden, 1990 wurde die Akte ebenfalls geschlossen. In bester „True-Detective“-Manier beleuchtet Nic Pizzolatto einen handelsüblichen Kriminalfall und hellt ihn ihn zu einer literarischen Weltbefragung aus. Der Showrunner hat dazugelernt. Kierkegaard und Nietzsche bescheren den Sackgassenanekdoten nicht (mehr) ihr fatalistisches Füllmaterial. Auf akademische Fußnoten verzichtet Pizzolatto völlig. Als ob es die zweite Staffel (2015) nie gegeben hätte, sortiert er das Ansprechendste aus dem ersten Jahr „True Detective“ (2014): erdige Farben und milchiges Wetter inmitten einer ländlichen, verschwiegenen Gemeinde. Selbst die Bilder, wiewohl professionell montiert (Daniel Sackheim) und professionell entschleunigt (Jeremy Saulnier), lassen eine genuine visuelle Handschrift vermissen, die die Serie einst ausgezeichnet hat. Vor jeder Selbstbesoffenheit schreckt Pizzolatto diesmal zurück, das Gewicht liegt auf den ambivalenten Charakteren und ihren eruptiven Vertraulichkeiten. Der strong silent type, den Pizzolatto verehrt, verweilt an Orten, die begehrenswert sind, aber zum Aufbruch drängen.

Daher erzählt die dritte Staffel „True Detective“ über:

a) Menschen in Geschichten    

b) den Krieg und

c) eine Utopie.

Menschen in Geschichten

Hays‘ Freundin und spätere Ehefrau Amelia (Carmen Ejogo) widmet sich dem Fall auf ihre eigene Weise. Sie ist Schriftstellerin und rekapituliert die Ereignisse in zwei Sachbüchern. „Kaltblütig“ von Truman Capote (1966 offiziell erschienen) nennt sie als Vorbild. Amelia als Chronistin zu bezeichnen, widerstrebt dennoch ihrer Rolle. Sie schreibt über die Ereignisse in ihrer individuellen Interpretation, betreibt investigative Aufklärungsarbeit und reichert den tendenziell trockenen Stoff mit beklemmenden Einzelschicksalen an. In der dritten Staffel „True Detective“ thematisiert Nic Pizzolatto anhand von Amelias manipulativer Geschichtsklitterung das unzuverlässige Erzählen, das auf sich verweist und dort endet, wo es begann: an einem Haus von Reinkarnationen, an dem Fahrräder vorbeifahren. Den Holzhammer packt der Showrunner aus, wenn uns Amelia (und Hays) teils als Geist darauf hinweist, dass der Glaube an die Geschichte deren Wirklichkeit zementiert. Ein bekanntes „True-Detective“-Paradoxon: Die Liebe zum Wissen bekommt fanatische Züge. Und: Gute und böse Geschichten brauchen einander, um unsere Vorstellung von Welt zu konkretisieren.       

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Krieg

Obgleich das Verbrechen nicht die Dichte jenes Falles aufweist, in den sich das ikonische Ermittlerpaar Cohle und Hart einst vertiefte, ist es doppelt beeindruckend, dass Pizzolatto die Architektur intimsten Traumas nicht vergessen hat. Hays‘ Erfahrungen in Vietnam sowie die Herausforderung, sich als afroamerikanischer Polizist in einer rassistisch gestimmten Umgebung zu behaupten, werden dezent in die Handlung verwoben. Hays macht seinen Job nicht nach Stechuhr, diese nimmermüden, aufmerksamen Augen, dieser fixierende Blick – genau wie in Vietnam suchte sich Hays. Er suchte und sucht sich über alle drei Zeitausfransungen hinweg im Weiß des Verblassens, weil ihn die Vergangenheit heimsucht. Vor den Trümmern ihrer Überreste steht er, er verirrt sich in seiner Geschichte. Die Leichen kehren als Gespenster wieder, flankieren ihn. Seine anhaltende, unvorhersehbar auftauchende Demenz oktroyiert das Vergessen, zugleich das Vergessenwollen. Der „Krieg“ annektiert (auch) sein Privatleben – seine Beziehung mit Amelia basiert auf dem Tod eines Jungen und übertrifft die kühnsten Vorstellungen zweckrationaler, taktischer Gebundenheit.  

Utopie

Es sind einige der markerschütterndsten Geräusche, die wir zu hören bekommen: Als Hays 1990 seinen Dienst quittiert und sich freiwillig in die Pressestelle versetzen lässt, schießt das Schreibmaschinengeklacker um ihn herum direkt in sein Gehirn. Dieser Mann wird vernichtet werden. Im Vergleich zu den beiden anderen „True-Detective“-Staffeln dämpft Pizzolatto gleichwohl die Barbarei, das Monster in uns. Denn die mutige Entscheidung, den Subplot um eine True-Crime-Moderatorin (Sarah Gadon) nicht konsequent(er) auszuerzählen, entfaltet seine Tragweite erst vor dem Hintergrund der Essenz dieser Staffel. Nicht nur, dass – platt gesagt – der Fall noch einmal ins Bewusstsein rückt, der Handlungsstrang unterläuft zugleich die Vorverurteilungen und Vorurteile des Zuschauers, die er durch die Mutmaßungen der Sendung für sich bestätigte. Vermutete die Moderatorin einen Kinderhändlerring, der Verbindungen zur ersten Staffel „True Detective“ preiszugeben schien, löst sich der Fall schlussendlich in aufgezwungener Liebe auf. Nic Pizzolatto erinnert an die Feindbilder, die wir internalisiert haben und hinter denen sich unsere Besessenheit zur Vereinfachung verbirgt.

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Romantisch konstruiert Pizzolatto stattdessen eine Utopie: Keine größere politische Verschwörung, keine spektakuläre Enthüllung offenbart er. Die Hunde kehren stattdessen zurück und die alten Männer kehren heim, orchestriert von der bittersüßen Versöhnung gegenüber der Nichterinnerung, in Enttäuschung und Gram auseinandergegangen zu sein. Das Spiel von Ali und Dorff pendelt dabei stetig zwischen raubeinig und elektrisierend. Ohne diese herausragenden Schauspieler wäre die dritte Staffel nicht den Eintritt wert, den sie beansprucht. Das ist dieses weinerliche, sakrosankte Männerpathos, das die Protagonisten zusammenhält. Pizzolatto sieht gespannt in ihre Augen, an ihren Wangen hinab. Die Kamera ist gefesselt von jeweils drei Menschen, die sich verwandelt haben und an denen die Zeit, an denen der Ort vorbeistrich, wo sie wirkten, verortet in der Selbstbefragung, wie weit der Zivilist Polizist sein darf – und welchen Wert das Leben hat, wenn es sich ausschließlich im Vergangenen verrennt. Der „Zeittümpel“ des „True-Detective“-Detectives ist schließlich viel zu fragil und viel zu anfällig für Überschwemmungen, die durch das Land und die Seele wüten.                            

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