Kritik: Destroyer

Wüsten der Großstadt

© Concorde Filmverleih GmbH

Nicole Kidman ist in „Destroyer“ nicht wiederzuerkennen. Das weiß die Regisseurin Karyn Kusama. Voll an magnetischer Hypnose, aber zugleich voll an mitfühlender Passion konstruieren die Kameraeinstellungen einen schlichten Bilderrahmen für das Gesicht der Protagonistin Erin Bell (Kidman), wodurch es mit der Leinwand expressiv verschmilzen kann. Die widersprüchlichsten Windrichtungen haben das Gesicht verzerrt, das Klima von Los Angeles bekam ihm nicht, es trocknete aus, wurde rissig, wulstig, felsig. Damit gerann dieses Gesicht zum Spiegelbild einer Landschaft sterbender und gestorbener Vitalität – Los Angeles als eine zeitgeschichtlich nicht näher bestimmbare, kantige Gesteinshalde ohne Menschen. Die Stadt wird zum Hauptdarsteller in Kusamas Thrillerdrama, weil sie nicht nur eine Kulisse repräsentiert. Sie repräsentiert eine eigenständige Textur fernab von Touristenstätten, Konsumversprechen und architektonischer Überwältigung. Das Los Angeles in „Destroyer“ ist kein Ort sinnstiftender Kommunikation. Das Leben und das Sterben vollzieht sich im Geheimen, hinter Glasscheiben, im Auto und weit abseits.

Wenn der Film seinem urbanen Realismus vertraut, in dem er angesiedelt ist, hebelt er ausgesprochen energetisch konventionelle Bilderbuchfotografien aus. Karyn Kusama hat ein Auge für das Makelbehaftete, dem sich die Mimik Nicole Kidmans beugt: Ohne Schminke, mit feucht-lauernden, ermüdeten Augen verzieht sie sich, leidet sie, diese Mimik zwischen geschwollen und hartherzig, aufgedunsen und schuppig. Bell hat viel zu viel gesehen. Das hat sich eingeschrieben und vernarbte. Sie verkörpert eine Polizistin, die bei einem gescheiterten Undercover-Einsatz ein folgenschweres Trauma davontrug. Ihr Ziel war eine Bande an Gangstern, die Raubüberfälle planten. Die Handlung setzt ein, als Bell glaubt, Zeichen erkannt zu haben, die darauf hindeuten, dass der Anführer und – abgesehen davon – Mordverdächtiger (Toby Kebbell) sich erneut ihr gegenüber ankündigt. Bell allerdings ist nicht in der Verfassung, sich ihrem Präsidium anzuvertrauen. Sie ermittelt auf eigene Faust, ein kreisförmiges Parkplatzmuster gibt dem Zuschauer einen symbolischen Hinweis – Bell ist gezwungen, die (moralisch) äußeren Bahnen des Kreises zu betreten.  

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Zeitsprünge wechseln sich fortan mit Rückblenden ab. Die Regisseurin erzählt, parallel zu einem existenzialistischen Krimi fahrlässiger Befugnisverletzung, die Kennenlernphase und Eingewöhnung im Alltag eines eingeschworenen Bündnisses jenseits der Legalität noch einmal nach. Zusätzlich versucht Bell, das belastete Verhältnis zu ihrer Tochter (Jade Pettyjohn) zu normalisieren. Diese narrativen Seitenstränge loten die Dimensionen aus, in denen sich die Polizistin wiederfindet, Berufliches wie Familiäres unter hohem Druck zu kitten. Der Versuch, Erin Bell dadurch vielschichtiger zu gestalten, schlägt – manchmal zumindest – fehl. Bei aller psychologisch zu großen Teilen emotionsgeladenen Finesse, derer sich Kusama bemüht, um das Spröde zu vermenschlichen, verliert der Film immer wieder seine Bezugsperson aus dem Fokus – überlang, detailstur und verkompliziert begibt sich die Regisseurin auf eine Safari durch die Genregeschichte. Allzu Originelle(re)s will ihr daher nicht einfallen, wo doch der Schauplatz als solcher ausgereicht hätte, den Plot zielstrebiger zu verdichten. Überraschungen, unverbrauchte Winkelzüge zeigen sich in „Destroyer“ eher nicht.

Dies erhärtet sich, sobald Nebenfiguren das Geschehen verbreitern, die unnütz sind oder mindestens verschwendet werden: Silas, Bells Nemesis (Kebbell) im Hintergrund, sowie Jay (Beau Knapp), der prollige Freund ihrer Tochter, stellen kurze Notizen dar, die das Gefühlsinventar Bells entsprechend aufwerten. Ob sie sich aufgrund einer lapidar ausformulierten Romanze aber nach Vergeltung sehnt oder lieber den Rest Familie zusammenzuhalten versucht, erscheint seicht und wenig zufriedenstellend erzählt. Beides hält die Protagonistin davon ab, intrinsisch sich selbst zu erforschen. Sie wird stattdessen extrinsisch von einem Drehbuch (Phil Hay, Matt Manfredi) situationsgebunden delegiert. Seinen Höhepunkt findet der Film in dieser Hinsicht früh – Bell fügt sich einer sexuellen Praktik, um an Informationen zu gelangen. Karyn Kusamas Anliegen, mit Erin Bell eine Frau zu zeichnen, die weder zu oberlehrerhaft noch zu weinerlich daherkommt, scheitert an einer Szene, die jegliche selbstbefragende Emanzipationsfestigkeit über Bord wirft und einen kaum sexistischeren Impetus herleitet. Kusamas Film hat das nicht nötig, aber vor dem letzten Engagement, diese Frau mit ihrer eigenen Stimme in ihrem eigenen Körper sprechen zu lassen, fürchtet sie sich ohnehin.   

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