Kritik: „Love, Death & Robots“

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Nach dem sehr schnell-geschnittenen, mit dem durch explizite Szenen und heftiger Technomusik unterfütterten Intro zu „Love, Death and Robots“ stieg die Vorfreude bei vielen (intellektuellen) Sci-Fi- Nerds im Vorhinein auf das Unermesslichste an. Und sie werden nicht enttäuscht.
„Love, Death and Robots“ ist in vielerlei Hinsicht eine außergewöhnliche Serie. Dabei handelt es sich gar nicht um eine strikt lineare Serie, die mit jeder neuen Folge den Erzählstrang der vorherigen aufnimmt, sondern um eine animierte Kurzgeschichtensammlung. Die Idee zu der Anthologie-Serie stammt von den ausführenden Produzenten David Fincher (Fight Club, The Social Network) und dem „Deadpool“-Regisseur Tim Miller und lehnt sich an den Comic „Heavy Metal“ an. In 18 Kurzfilmen behandelt Love, Death and Robots die Beziehung zwischen Digitalität und Menschlichkeit in sehr konkreten Fallanalysen. Die Filme reichen vom grotesk-absurden Humor wie der Beherrschung des Planeten durch DEN Joghurt, bis an Matrix erinnernde, bedrückende Traum-Realitäten oder tief-philosophischen Fragen über den Sinn des Lebens. Die Geschichten, die aus der Hand aktuell bekannter Sci-Fi- Autoren wie John Scalzi, Alastair Reynolds oder Joe Landsdale stammen, werden von den unterschiedlichsten Animationsstudios auf die Leinwand gebracht. Das bietet eine einmalige Möglichkeit für die Studios, die sonst in ihrem Schaffen wenig kreativen Freiraum bekommen.
Sehr viele Kurzfilme haben mich dabei positiv überzeugt, aber einer sticht dabei besonders heraus. „Good Hunting“ ist der herausragendste Film der Sammlung, da er die technische Entwicklung mit Erwartungen an den Menschen verknüpft und durch seine Steampunk- Ästhetik eine allgemeingültige aber auch aktuelle Zuschreibung schafft.
Der Kurzfilm beruht auf der Novelle des chinesischen Sci-Fi-Autors und Übersetzers Ken Liu aus dem Jahre 2012. Phillip Gelatt adaptierte das Drehbuch für den Screen und für Regisseur Oliver Thomas. Das koreanische Produktionsstudio Red Dog Culture House sorgte für die Animationen.

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In „Good Hunting“ wird in mehreren kleinen Zeitsprüngen die Freundschaft zwischen einem unbenannten männlichen Protagonisten, der zugleich als Erzähler der Geschichte dient und einer Huli-jing, einer chinesischen Sagengestalt (Kreuzung aus Frau und Fuchs) erzählt, die sich unter verschiedenen Umständen zu unterschiedlichen Zeiten begegnen.
Im ersten Abschnitt begleitet der männliche Protagonist, damals 13 Jahre jung, seinen Vater zum ersten Mal bei der „Jagd.“ Sein Vater ist Geisterjäger im ländlichen chinesischen Raum und schützt „die Menschheit vor magischen Kräften, die ihr selbst schaden könnten.“ So eine Magie besitzen u.a. die Huli-jing (dt. Fuchsgeist/ Fuchsfee), ein chinesisches, Fabelwesen, die sich durch magische Kräfte beliebig von einem Fuchs in eine menschliche Frauengestalt verwandeln können. Huli-jings sind laut des Geisterjägers gefährlich, da sie die Männer allein mit Blicken dazu bringen, sich in sie zu verlieben und von ihrer Zuneigung abhängig zu werden. Der Geisterjäger tötet auf seiner Jagd eine Huli-jing, die den Kaufmannssohn des Dorfes verhext haben soll.
Der Sohn des Geisterjägers, von der Tat des Vaters abgeschreckt, entscheidet sich daraufhin die Tochter der Huli-jing, die er vorher in Gewahrsam nahm, fliehen zu lassen.
Mehrere Jahre später, erfahren wir, dass der Geisterjäger gestorben ist. Sein Sohn und die Huli-Jing mit Namen Yen sind Freunde geworden. Auch die Landschaft hat sich verändert, durch die einstmals ländliche Idylle fährt nun eine Eisenbahn.
Yen fällt es immer schwieriger sich in ihre Fuchsgestalt zu verwandeln und zu jagen, durch den Bau der Eisenbahnlinie im Dorf schwinden ihre magischen Kräfte.
Auch der Protagonist hat nach dem Tod des Vaters Probleme sich in der Welt zurecht zu finden. Beide entscheiden sich daraufhin getrennt voneinander das Dorf zu verlassen und ihr Glück in der sich rasch entwickelnden Großstadt Hong Kong zu versuchen. Der Protagonist arbeitet zunächst als Ingenieur der Eisenbahngesellschaft, später erfindet und entwickelt er Maschinen. Yen, deren magischen Kräfte unter dem Einfluss der rasch- voranschreitenden Technisierung und Industrialisierung endgültig verschwinden, verdingt sich als Prostituierte für die britischen Besatzer.

Hong Kong, seit 1843 unter offizieller britischer Herrschaft, erlebt in wenigen Jahren einen ungeheuren wirtschaftlichen und technischen Aufschwung. Besonders letzteres kann man im Film bestaunen. So bedienen sich die Produzenten des Steampunks und dessen Chrom-Kupfer-Glas-Ästhetik und modellieren eigene Flugmaschinen, Schuhputzroboter oder ein durch Wasserdampf-betriebenes Kaninchen, das konzentrisch durch die Wohnung hoppelt. Im Steam Punk, eine rein literarische Erfindung, werden futuristische, technische Konstruktionen in das viktorianische Zeitalter imaginiert (Karl R. Kegler). Diese Imagination dient der Verdeutlichung eines rasanten Fortschritts, mit denen sich die Protagonisten arrangieren müssen. Zunächst wird der technische Fortschritt als negativer Entwicklungsschritt dargestellt, der der ursprünglichen Spiritualität und Magie der ländlichen Idylle entgegengestellt wird. In der Original-Kurzgeschichte von Ken Liu drängt die Eisenbahn, die von den Briten installiert wurde, die Magie des chinesischen Dorfes zurück. Der Geisterjäger und Vater des Protagonisten bringt sich um, weil er aufgrund der schwindenden Magie in der Gesellschaft kein Bedürfnis mehr für einen Geisterjäger besteht.
Die alte Welt wie sie seit jeher bestand, existiert nicht mehr. Der Fortschritt verlangt auch ein anderes Menschenbild. Damit arrangiert sich zumindest der junge männliche Protagonist sehr gut. Er entwickelt sich zum Pragmatiker und gliedert sich in die Welt der britischen Besatzer als Ingenieur ein und begeistert sich für jede Art von Maschinen.
Yen gelingt das zunächst nicht. Durch die Technisierung hat sie ihre Magie komplett verloren, ihr bleibt einzig ihre Schönheit. Sie träumt davon, wieder ihre ursprüngliche Gestalt anzunehmen und auf die Jagd zu gehen. Ihr Wille bleibt trotz all der negativen Erfahrungen, die ihr angetan werden, ungebrochen.

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„Good Hunting“ plädiert für Selbstbestimmung, nicht nur im feministischen Kontext, sondern auch bezogen auf die die Digitalisierung und deren Folgen für die Gesellschaft. Steht der Protagonist für die positiven Seiten und ergriffenen Chancen der Technisierung/ Digitalisierung, so wird Yen zunächst als das Opfer einer fortschreitenden Entwicklung dargestellt, wie ein Fließbandarbeiter, dessen Aufgabe künftig von einer Maschine erledigt wird. Doch auch Yen findet später einen Weg mithilfe der Technisierung sich zu verwirklichen und zu ihrem wahren Ich zurück zu gelangen. Der Film behandelt also eine stets aktuelle Problematik:
Wie finde ich mich selbst in einer sich entwickelnden Gesellschaft zurecht? Wer möchte ich sein? Wie kann ich meine Stärken und meine Persönlichkeit innerhalb der neu-entstandenen Möglichkeiten für mich selbst und andere nutzbar machen?
Diese Fragen sind in jeder Gesellschaft und für jede Zeit relevant. Der Steampunk – zukünftige Technik und Maschinen in einer längst vergangenen Zeit – unterstreicht diesen thematisch zeitlosen Charakter.

„Good Hunting“ ist eine perfekte Symbiose aus Inhalt, Dramaturgie, Animationsdesign, Soundeffekte und Musik. Untermalen im ersten Abschnitt noch traditionelle chinesische Instrumente die Szenerie, wird die Ankunft des Protagonisten und seine spätere Arbeit in Hongkong von einem klassischen Symphonie-Orchester begleitet, welches sich rhythmisch an den Bewegungen einer Eisenbahn anpasst.
Dieser Kurzfilm ist also alles in allem, ein mehr als gelungenes, für sich stehendes Kunstwerk und zeigt wie „Love, Death and Robots“ selbst, was mit dieser wenig beachteten Kunstform des Kurzfilms möglich sein kann. Bitte mehr davon.

„Love, Death and Robots“ läuft seit dem 15. März auf Netflix. Good Hunting ist die 8.Episode der Kurzgeschichtensammlung.

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