Kult-Geek Kritik: „Reservoir Dogs“

© Universum Film

Heute, am 21.Mai stellt Tarantino in Cannes exklusiv mit „Once Upon… a time in Hollywood“ seinen 10. Spielfilm. Regulärer Kinostart in Amerika ist erst in 2 Monaten. In Deutschland muss man sich sogar noch bis zum 28.August gedulden.
Grund und Zeit genug um einmal auf das Ouvre des legendenumwobenen Regisseurs zurückzublicken. Was macht ihn so besonders? Und wir beginnen natürlich am Anfang- mit „Reservoir Dogs“ aus dem Jahre 1992.

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Die Diskussion als solche

„Reservoir Dogs“ könnte unter normalen Umständen als ziemlich typischer „heist“- movie abgestempelt werden, in welchem 8 Männer mit Decknamen (die sich gegenseitig vorher vollkommen unbekannt sind) gemeinsam eine Bank ausrauben. Der Überfall läuft nicht so wie geplant, die Polizei trifft früher ein als erwartet und die Gangster müssen sich dem Gefecht stellen und anschließend vor der Polizei flüchten. Doch der Banküberfall als solcher spielt im Film überhaupt keine Rolle, er wird nicht einmal gezeigt. Vielmehr steht die Frage im Raum, wie dieser Überfall schief gehen konnte, bzw. wer bei der Polizei geplaudert hat. Alle (noch Überlebenden) liefern sich daraufhin hitzige Wortgefechte und beschuldigen sich gegenseitig („You fucking assholes- „Dont call me an asshole“- „You fucking idiot“- Dont call me an idiot“). Der Film kann viel mehr als ineinander verwobene Kammerspiele, denn als Actionfilm erachtet werden, bei der die Handlung nur dazu dient die Figuren in irgendeiner Weise zusammenzubringen. Tarantinos Filme sind Charakter- und Milieustudien, die erst durch das gesprochene Wort und die Interaktion der Figuren miteinander wirken können. „Reservoir Dogs“ beweist dies meisterlich.
Der Film beginnt damit, dass die 8 Männer in Anzügen in einem Café sitzen und sich über Madonnas „Like a Virgin“ unterhalten, bzw. sich über die Bedeutung hinter dem Lied streiten. Nicht nur, dass die Szene auch noch einmal metaphorisch die Film-Karriere von Tarantino einläutet- so redet dieser höchst selbst als erste Figur (Mister Brown) in seinem eigenen Spielfilmdebüt über Entjungferung- das Gespräch stellt auch die einzelnen Charaktere und ihre Motive vor. So wird Mister Brown als eine banale, rüde aber diskursfreudige Persönlichkeit inszeniert (das lyrische Ich wird in „Like a Virgin“ so heftig penetriert, dass es ihr so vorkommt als wird sie gerade entjungfert) Mister Pink (Steve Buscemi) wird in der Anschlussdiskussion als penibel, sturköpfig und egoistisch wahrgenommen, weil er einer Kellnerin ihr Trinkgeld verwehrt („i dont believe in tips“) und Joe (Lawrence Tierney) tritt als cooler und souveräner Gangsterboss in Erscheinung, der sich nicht gern auf der Nase herumtanzen lässt (zeigt sich beispielsweise dadurch, dass er Mr. Pink nach minutenlanger Diskussion nur kurz auffordert jetzt endlich doch Trinkgeld zu geben)

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Tarantino als „recycling artist“

Zudem nutzt Tarantino wie kein anderer vor ihm bestehendes Material aus der hiesigen Popkultur, webt dies in die Geschichte ein und setzt diese in ein Verhältnis zu den Protagonisten. Dies erzeugt eine Unmittelbarkeit, die für für eine zeitliche Einordnung sorgt und dadurch eine streng subjektive Sicht auf ebenjene Zeit abgibt. Wenn sich Mr. Pink und „Nice Guy Eddie“ (Chris Penn) über die Songs aus der Radioshow K-Billys Supersound of the 70s unterhalten und Mr. Blond (Michael Madsen) ein Lied aus dieser Show hört als er dem gefesselten Polizisten ein Ohr abschneidet, dann gibt dies immer Auskunft über die Sozialisation und Charaktereigenschaften der jeweiligen Personen.
Weiterhin gelingt es Tarantino aus solchen Unterhaltungen über die Popkultur, wie beispielsweise
die Diskussion um „Like a Virgin“– selbst Klassikern der späteren Popkultur zu kreieren. Tarantino nutzt offensiv oder subversiv Popkultur als Referenz, auf die sich wiederum eine neue Art der Popkultur gründet und erschafft somit einen „Popkulturkreisel.“

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Doch Tarantino bedient dich nicht nur aus der Popkultur. In einem Interview mit dem Empire Magazin offenbarte er einmal: „I steal from every single movie ever made.“ So entnahm Tarantino für „Reservoir Dogs“, das Setting (Gangster die sich zum ersten Mal begegnen und unter der Regie eines Bosses einen Überfall ausführen) sowie die Struktur des Films (die nicht-lineare Erzählweise mit nicht chronologischen Einschüben aus dem Leben der einzelnen Protagonisten) aus Stanley Kubricks „The Killing“ (1956) und die Idee für die Decknamen der Gangster Farben zu verwenden, aus: „The Taking of Pelham One Two Three“ (1974). Wenn sich  Joe, „Nice Guy“ Eddie und „Mr. White“ am Ende in einem Mexican- Standoff gegenüberstehen, weil niemand von seiner Meinung abweichen will und an somit an ihren eingestaubten Vorstellungen von Männlichkeit und Moral festhalten, erinnert dies an „Spiel mir das Lied vom Tod“, übertragen auf ein Amerika der Mitte 80er/ Anfang 90er Jahre.
Aber auch hier „klaut“ Tarantino nicht, sondern nimmt sich bestehende Ideen aus Filmen und verwebt sie zu einem eigenen kleinen Kosmos („He invented nothing- but reinvented Everything.“) Er selbst erfindet aus vorhandenen Skizzen, neues Material, was dann von anderen Filmemachern übernommen wird. Wenn Mr. Blond den am Stuhl gefesselten Cop in der Lagerhalle foltert, ihn mit Benzin übergießt, dabei das Radio anschaltet und tanzt (hier wieder:„do you listen to K.Billys Supersounds from the 70s?“)- erinnert das in seiner Überdrehtheit an Patrick Bateman von „American Beauty“, der allerdings erst 6 Jahre später über eine 80er Band sinniert, bevor er seinen Konkurrenten wegen einer schön-verzierten Personal-Karte, kaltblütig mit der Axt abschlachtet.

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Fazit:
„Reservoir Dogs“ bedient sich nicht nur aus bestehendem Material, sondern etabliert zugleich einen eigenen Kosmos, welcher häufig den stereotypen „Staus Quo“ eines aktuellen Amerikas festhält (wird in anderen Filmen wie „Pulp Fiction“ wieder aufgenommen). Der Film etabliert erstmals die Person Tarantino in Hollywood und seinen Filmstil in Hollywood. Durch genial- inszenierte (manchmal auch an Verstörung grenzende) Dialoge („Tagged a few cops“- „not real people?“- „Just cops.“), eigenwilligen Persönlichkeiten, szenen-basierte Erzählweise und funktionale Kameraarbeit erkämpft sich der Film den Status als „Klassiker des Independentfilms.“

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