
„Ich betrachte mich selbst nicht als Schauspieler. Ich sehe mich als ein Mensch, der es wie ein Hobby betreibt.“, erzählt uns der bodenständige Italiener Stefano Cassetti.
Der Schauspieler, zeitgenössische Künstler & Designer wächst in der Lombardei auf. Er schließt sein Studium am Polytechnikum Mailand mit einer Arbeit zum Thema Warten im öffentlichen Raum sowie dem revolutionären Potential von Freizeit ab. Dann zieht es ihn
nach Frankreich. Durch eine Zufallsbegegnung in einem Pariser Restaurant im Jahr 2000 kommt seine Schauspielkarriere ins Rollen.
„Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“,
gibt er preis. Seither wird er europaweit als Antiheld besetzt. Oftmals drückt er den „Bad Guys“ seinen markanten Stempel auf.
In deutschen Kinos sahen wir ihn zuletzt in der Rolle des „Nicola Collini“ in Marco Kreuzpaintners Film „Der Fall Collini“. Zu seinen Filmprojekten in Deutschland zählten u.a. „5 Frauen“, „Outside the Box“ & „Maria Mafiosi“. An der Volksbühne Berlin spielte er im
Theaterstück „Liberté“.
Derzeit spielt Stefano Cassetti den Soldaten „Terenzio“ in der neuen Netflix-Serie „Into the Night“. Der Sci-Fi-Thriller von Jason George ist das erste belgische Netflix Original und chartete zwischenzeitlich auf den ersten Platz der Netflix „Top Ten“.
„Into the Night“ handelt von einem apokalyptischen Szenario, in dem die Sonnenstrahlung plötzlich alles Leben auf der Erde ausradiert. „Terenzio“ ist mittendrin im Chaos: Er entführt ein Flugzeug, um den Tag-Nacht-Zyklus zu überlisten. Für die Passagiere beginnt der Kampf ums Überleben.
Geek-Pool: In „Into the Night“ spielst du die Rolle eines Soldaten der ein Flugzeug entführt, um von der Sonne zu entkommen. Was war dein erster Eindruck deiner Rolle?
Stefano Cassetti: Die erste Lektüre des Drehbuchs war faszinierend.„Terenzio“ ist kein klischeehafter „Bad Cop“. Aus meiner Sicht gibt es zwei Paradoxe in ihm: Er scheint egoistisch zu sein, indem er das Flugzeug entführt – doch gleichzeitig versucht er einfach, Leben zu retten. Außerdem tritt er wie ein engstirniger Kommandant auf – will im Flugzeug aber demokratische Entscheidungen treffen. Klingt paradox, oder? Er ist also ein ambivalenter Soldat. Das gefällt mir.
Geek-Pool: Eure Besetzung ist sehr multikulturell. Wie tragt ihr als internationale Filmemacher dazu bei, Brücken zwischen Ländern & Kulturen zu bauen?
Stefano Cassetti: Aus meiner Sicht sind die Passagiere ein Spiegelbild der Europäischen Union. Obwohl die Charaktere unterschiedlicher Herkunft sind, sprechen sie eine universelle Sprache der Solidarität. In einer Krisensituation arbeiten sie weitestgehend zusammen, um das gleiche Ziel zu erreichen. Die Pandemie ist auch eine kritische Phase, in der wir
solidarisch handeln müssen. Wir zeigen dem Publikum, dass es funktioniert.
Geek-Pool: .. Du siehst also Parallelen zur aktuellen globalen Situation?
Stefano Cassetti: Ich denke genau das, was im Flugzeug passiert, ist vergleichbar mit der aktuellen Pandemie-Krise. Es sind beides globale Zeitenwenden. Die Menschen müssen lebenswichtige Entscheidungen treffen. Die Menschen müssen ihre Energien zusammenhalten. Die Menschen haben Angst vor der Ungewissheit. Die Sonne spielt in „Into the Night“ eine wichtige Rolle: Vor ihrer lebensbedrohlichen Strahlung bekommt man Angst. Niemand kann sich anfangs erklären, weshalb sie tödlich ist. Ebenso betrachten wir
das derzeitige Virus als mysteriösen Feind: Wir können es nicht sehen; haben keine absolute Gewissheit über das Virus.
Geek-Pool: Du spielst eine Hauptrolle in einer Serie, die ein globales Publikum erreicht. Wie hat dich das persönlich geprägt?
Stefano Cassetti: Ich fühle mich grundsätzlich überwältigt. Weltweit zu unterhalten, müsste der Traum eines jeden Schauspielers sein. Dafür bin ich dankbar. Es gibt mir die Möglichkeit, in Zukunft zwischen mehr Optionen zu wählen. Besonders froh bin ich über den Zuspruch
von Fans & Filmschaffenden.
Geek-Pool: ..bekamst du auch Reaktionen, die du nicht erwartet hast?
Stefano Cassetti: Ich bekomme hunderte Nachrichten pro Tag. Glücklicherweise gefällt den meisten Fans meine Interpretation von „Terenzio“. Offenbar gibt es aber auch Leute, die nicht zwischen Fiktion und Realität unterscheiden können. Das kann erschreckend sein.
Geek-Pool: Ihr habt in Bulgarien, Belgien, Nordmazedonien & den Niederlanden gedreht. Was magst du uns über die Dreharbeiten erzählen?
Stefano Cassetti: Tatsächlich wurden 99 Prozent der Serie in Bulgarien gedreht. Die „Nu Boyana Film Studios“ in Sofia sind wie das Hollywood Europas.
Geek-Pool: Warum empfiehlst du „Into the Night“?
Stefano Cassetti: Weil die Serie ein Porträt der Zivilisation ist. Sie zeigt einen Kampf zwischen nationalen Vorurteilen und zeigt auch Freundschaften, die gegen einen gemeinsamen Feind wirken.
Geek-Pool: Oftmals spielst du antagonistische Rollen. Du füllst Figuren wie den Mafioso oder den Teufel mit dunklem Spirit..
STEFANO: .. Vor 20 Jahren, als ich anfing zu schauspielern, sahen mich die anderen Leute in genau solchen Rollen. Ich habe meinen Stil gefunden. Aber während meiner Karriere habe ich nicht nur bösartige Charaktere gespielt. Ich habe in französischen Produktionen bereits ganz andere Rollen übernommen. Im deutschen Film „5 Frauen“ habe ich eine sanfte, verführerische Rolle gespielt. Auch in der französischen Bollywood-
Produktion „Eine außergewöhnliche Reise von Fakir“ als „Alfredo“.
Geek-Pool: Ist es grundsätzlich schwieriger, den „Bad Guy“ zu spielen?
Stefano Cassetti: Es kommt auf den Charakter an.

Geek-Pool: Welche Ansätze hast du in deinem Spiel?
Stefano Cassetti: Es hilft mir, mich selbst nicht als Schauspieler zu betrachten. Der Job sieht anders aus. Außerdem wurde ich nicht wie ein klassischer Schauspieler erzogen. Ich sehe mich als ein Mensch, der es wie ein Hobby betreibt. Es ist eine Möglichkeit, tief in einen Charakter einzutauchen.
Geek-Pool: Du hast das Filmgeschäft in vielen Ländern kennengelernt. Was sind die offensichtlichen Unterschiede für Schauspieler zwischen Europa & anderswo?
Stefano Cassetti: Ich habe herausgefunden, dass US-Amerikanische Produktionen eine genaue Vorstellung von ihrem Charakter erwarten. Sie ermöglichen den Schauspielern, eigene Ideen für ihre Figuren vorzuschlagen. Allerdings haben sie dann auch mehr Verantwortung
für sie. Dies kommt in Europa weniger vor.
Geek-Pool: Auf was legst du in deinem persönlichen Leben wert?
Stefano Cassetti: Auf Nachhaltigkeit. Mit der Tatsache einhergehend, dass wir 90% der Dinge, die wir brauchen und kaufen, nicht wirklich brauchen.
Geek-Pool .. auf welche Weise?
Stefano Cassetti: Ich verstehe nicht, dass aus irgendwelchen politischen Gründen Produkte hergestellt werden, die nur eine Lebenserwartung von etwa zwei Jahren haben. Warum sollten die Gegenstände so schnell dahinsterben? In meiner Weltvorstellung sollte es weniger Kapitalismus, weniger Konsum und nachhaltigeres Denken geben. Der
Lebenszyklus eines Produkts ist viel kürzer geworden als in der Vergangenheit. Jetzt verstehen wir langsam, wie verrückt das ist. Ich schreibe gerade ein Skript zu diesem Thema.
Geek-Pool: .. Deshalb sammelst du zum Beispiel frühere Modelle an Vespas & Lambrettas?
Stefano Cassetti: Ja, ich bin fasziniert von der Technik. Autos und Motorroller, die offensichtlich die gleichen Objekte wie heute waren, liefen über 60 Jahre ohne Probleme. Das zeigt unser heutiges Problem.
Geek-Pool: Deine Gedanken zur Umwelt während der Pandemie?
Stefano: Aus meiner Sicht ist es ein Wachrütteleffekt. Ich denke, die Natur will uns sagen: „Hey Leute, das ist nicht der richtige Weg!“. Wir waren vorher von einem wirklich verschmutzten Planeten betroffen – Jetzt scheint sich die Luft zu erholen. Ich hoffe, dass die Menschheit das umweltbewusste Leben danach nicht vernachlässigt. Andernfalls
kommt es zu einem Rebound-Effekt.
Geek-Pool: Als Künstler: Was rätst du kreativen Menschen derzeit?
Stefano Cassetti: Isolation kann eine Art von Geschenk sein. Aber der Schlüssel des kreativen Schaffens liegt nicht darin, auf der Couch zu warten. Die Welt der Kunst ist so groß – Kreative Menschen sollten sich in dieser Zeit inspirieren lassen. Ich schlage vor, diese große Chance für uns zu nutzen, um zu erkennen, dass das Leben auch minimalistisch funktioniert.
Interview führte Felix Seyfert
Hinterlasse jetzt einen Kommentar